Jürgen
Gässler gibt Einblick in sein Werk. Wie er die Fotografie bildmäßig
gestaltet, ist ein Novum. Es handelt sich um keine gerahmten Bilder
im herkömmlichen Sinne. Wir sehen Gesamtkunstwerke. Das Bild und
die Rahmung verschmelzen zu einer Einheit. Würde man versuchen,
die Fotografie von der Platte zu lösen, wäre das Bild unwiederbringlich
zerstört. Gässler hat sich ein altspanisches Verfahren zu eigen
gemacht, das vor Feuchtigkeit schützen sollte. Holzplatten wurden
mehrfach mit Lackschichten überzogen. Darauf hat Jürgen Gäßler die
von Silberleisten gerahmten Fotos montiert. Diese Einfassung ist
als Reminiszenz an die Silberminen von Bolivien gedacht. Fotografien
und Holz wurden dann wiederum mehrfach gelackt.
Eine
Serie von rosa abgetönten Fotografien bedeutet über das wiedergegebene
Motiv hinaus eine weitere spezifisch auf Bolivien zugeschnittene
Komponente. Der Künstler möchte - und es ist ihm in der Tat gelungen
- zum Ausdruck bringen, daß im Andenhochland die Luft sehr dünn
ist. Das Atmen fällt bisweilen so schwer, wie wenn es durch eine
Membrane, durch einen rosa Schleier erfolgte. In gebrochen rötlich-bräunlichen
Nuancen erleben wir Menschen des Hochlands - Kinder, Erwachsene,
Greise. Fein sind ihre Physiognomie, Haltung und Gestus abwechslungsreich
und lebensvoll.
Gässler
verfügt über ein hohes Maß an menschlichem Einfühlungsvermögen.
Das Auge des Künstlers suchte Motive, die weder die bittere Not
- Bolivien ist eines der ärmsten Länder des Kontinents - noch die
Schockoladenseiten zeigen. An einigen Landschaftseindrücken - etwa
am Titicacasee oder bei Sucre während eines Sonnenuntergangs mit
Gewitterstimmung - wird deutlich, wie tief ihn auch die Natur berührt
hat.
Es war Jürgen Gässlers erstes Lateinamerika Erlebnis. Seine Zeit
in Bolivien war limitiert. Er mußte sich entscheiden, Akzente setzen.
Bewußt sparte er mit der Kamera Sensationelles, Spektakuläres aus.
Dafür fing er Alltägliches, für Bolivien Vertrautes ein. Geographische
Fixpunkte waren La Paz, mit mehr als 3.600 m über dem Meeresspiegel
die höchstgelegene Großstadt Südamerikas. La Paz ist Regierungssitz.
Die Hauptstadt ist Sucre. Ein Eisenbahnfriedhof bei Uyuni fand ebenfalls
besondere Beachtung. Die Lokomotiven und Waggons auf einem Areal
von rund 3 qkm stammen zumeist aus den 50er und 60er Jahren. Die
Ausmusterung der Wagen und Schienen fiel zusammen mit dem Niedergang
der Minenindustrie. Das Künstlerauge wählte Ein- und Ausblicke,
die gestalterisch sogar einen Hauch Futuristisches suggerieren.
Bei Uyuni konnte sich Gäßler auch der Faszination der Salzwüste
nicht entziehen. Hier gibt es einen Friedhof, wo dem Fotografen
weidende Schafe in der knochentrockenen Hochebene auffielen. Grabstätten
haben den Künstler in Bolivien in besonderer Weise beschäftigt.
Seien es die verschwundenen Chullpas von Potosi, Friedhöfe in Sucre
und La Paz, Gräber am Titicacasee, ländliche Indiofriedhöfe. In
diesen Kontext ordnen sich auch die Puppen gegen den "bösen Blick"
ein, angefertigt von Leichenponchos. Ein weiteres großes Thema fand
Gässler im Gebiet der Minen. Er stellt uns Minenarbeiter vom Cerro
Rico vor, jenem landschaftsprägenden Kegelberg mit seinen einst
unermeßlichen Silberfunden, die die Spanier zur Gründung von Potosi
veranlaßten. Der "Cerro Rico" - der "Reiche Berg" für die einen
- wurde zum Symbol grausamster Knechtschaft für die anderen.
Natürlich
begeisterte sich Gässler für das pulsierende Leben in den Ortschaften.
Er nahm Marktszenen in Tarabuco (Chuquisaca), La Paz und anderen
Städten und Dörfern auf. Bunt und farbenprächtig erleben wir die
Welt der Bolivianer. Üppige Obst- und Gemüsestände, leuchtend bunte
Textilien setzen exotische Akzente. Die Ausdruckskraft der Gesichter,
die großen Augen der Kinder wecken im Betrachter unendliche Sympathie.
Gässler fühlte mit den Straßenkindern, die in Sucre in einem Heim
eine Bleibe finden. Er fotografierte arbeitende Kinder, Minderjährige
nach dem Schnüffeln von Klebstoff, Indios mit typischen Kopfbedeckungen,
Greisinnen mit sonnengegerbter Haut, Kinder, die fürsorglich Säuglinge
mit sich herumtragen, Straßenverkäuferinnen.Vergoldete
Altartafeln in der Kirche "La Merced", dem ältesten Gotteshaus Boliviens,
in Sucre/Chuquisaca verweisen auf die hohe Kultur Boliviens seit
der frühen Kolonialzeit.
Es
sind einfühlsame Impressionen, die uns Jürgen Gässler vermittelt
- verhalten wie der Künstler selbst, dem Lautes und Reißerisches
fremd sind. Ihn mit Südamerika zu konfrontieren, war ein Experiment
mit hohem Gewinn für uns alle. Hier wird vermittelt, was anspruchsvolle
künstlerische Fotografie ästhetisch rezipieren und dokumentarisch
vermitteln kann. Wir danken Herrn Gässler dafür, daß er das Ibero-Amerikanische
Institut als Ausstellungsort seiner Bolivienbilder ausgewählt hat.
Wir danken dem Lateinamerikaforum Berlin, das dabei mitgewirkt hat.
Dr.
Renate Löschner Ibero-Amerikanisches Institut Berlin
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